Hochschultag Hochschule Damstadt

Hochschultag an der Hochschule Damstadt (Vortrag Prof. Dr. Dr. Radermacher) am 1.7.2014.

Im Rahmen des Seminars „Zukunftsdimensionen der Informatik- und Ingenieurberufe“ an der Hochschule Darmstadt  konnte Herr Prof. Dr. Dr. Radermacher für einen Gastvortrag am 1.7.2014 gewonnen werden. Herr Prof. Radermacher referierte zum Thema „Globalisierung, Nachhaltigkeit, Zukunft – zur Rolle des Allmächtigen Ingenieurs“.

Herr Prof. Radermacher stellte die grundsätzliche Frage zur Rolle von Technik in unserer Zivilisation und Entwicklung. Dann baute er den Spannungsbogen der Chancen und Risiken unserer Technikabhängigkeit und Technikgläubigkeit auf, und deutete an, dass wir im Laufe des Vortrags ein komplexes Situationsverständnis entwickeln und entsprechende mögliche Antworten und Lösungen finden werden.

Ein heutiges Problem ist sicherlich die rasch anwachsende Bevölkerung, die etwa um das Jahr 1820 die erste Milliarde erreichte, um dann im Jahr 1963 schon 3 Milliarden und heute explosionsartig die 7 Milliarden zu erreichen. Es ist damit zu rechnen, dass auch noch die 10 Milliardengrenze überschritten wird, wobei sich aber in den Industrienationen eher eine Bevölkerungsstagnation oder sogar eine Abnahme abzeichnet, in anderen und oftmals armen Ländern die Bevölkerung aber noch drastisch zunimmt. Als Beispiel ist Indien zu nennen, das z.Z. pro Jahr um jeweils weitere 10 Millionen Menschen wächst.

Frappierend ist, dass gerade in der größten Zeit der Armut und Knappheit die Menschheit sich verdoppelt hat und in den nächsten Jahrzenten auf 10 Milliarden anwachsen wird. Fakt ist auch, dass heute etwa 3 Milliarden Menschen ein Einkommen von weniger als 2 $ pro Tag haben. Die große Herausforderung der Menschheit ist Sicherstellung der Einhaltung der Menschenrechte für jeden Bürger, angemessene Bildung und Ausbildung, einen akzeptablen Wohlstand, Umsetzung eines nachhaltigen und sparsamen Ressourceneinsatzes und die Bewältigung der Klimaveränderung.

Herr Prof. Radermacher warf die Fragestellung auf, ob die Zuhörer glauben, dass wir Menschheit diese Herausforderung grundsätzlich schaffen könnten, wir dieses aber nicht schaffen werden!

Fast alle Teilnehmer teilten diese Einschätzung, dass es machbar wäre; politisch und wirtschaftlich aber werden wir nicht frühzeitig einen globalen Konsens erreichen.

Wenn man auf die Epoche  8.000 v.C. zurück schaut, so gab es dort nur etwa 20 Millionen Menschen als Jäger und Sammler. Diese Population war das Maximum der damals ernährbaren Menschen mit ihrer damaligen Steinzeittechnik auf der Erde.

Durch die jetzige Technik ist es möglich, dass die Erde 7 Milliarden Menschen recht oder schlecht ernährt. Es stellt sich die Frage, ob mit hoffentlich verbesserter und neuer Technik auch in den nächsten Jahrzehnten die Ernährung dann von 10 Milliarden Menschen möglich wird. Hierbei muss sicherlich die vorab gestellte Frage des tatsächlichen zu schaffenden „Turnaround zur ökologischen Nachhaltigkeit“ mit einbezogen werden.

Aus heutiger Sicht wird dieses Ziel möglicherweise aber nicht erreicht, nicht weil wir es nicht könnten, sondern weil es politisch und wirtschaftlich höchstwahrscheinlich nicht durchsetzbar ist. Ein Einlenken der sehr starken Gegenkräfte und Verhinderer wird sich erst dann durch die viel zu späte Einsicht – wenn überhaupt – einstellen, und zwar dann, wenn dieser priveligierte Personenkreis selbst unmittelbar und folgenschwer von Veränderungen und vom Niedergang betroffen ist. Diese Gegenkräfte haben aus heutiger Sicht überproportional sehr viel an Macht, an Einfluss und auch an Vermögen und Geld zu verlieren.

Nach der heutigen Einschätzung wird die Menschheit, geprägt durch die Orientierung am kurzfristigen Erfolg, eher so weitermachen wie bisher. Eine „Welt in Balance“ scheint unter diesen Rahmenbedingungen sehr unwahrscheinlich.

Unter dieser Annahme müssen wir uns mit anderen, nicht so tollen Szenarien beschäftigen, die sich teilweise heute schon in den südlichen europäischen Ländern – auch in anderen benachteiligten Regionen – abzeichnen.

Viele Menschen verarmen durch den Zusammenbruch der Wirtschaft und Überschuldung der Staaten. Ein Großteil der jungen Leute haben keine Arbeit und müssen sich entsprechend im Konsumverhalten erheblich einschränken. Sie leben oftmals aus Kostengründen oder weil es überhaupt keine andere Lösung gibt,  in beengten Verhältnissen bei Eltern, Verwandten oder in Wohn- und Leidensgemeinschaften. Dieses hat auch unmittelbar Auswirkung auf die Ernährung, Hygiene und auf die Gesundheit und es ist davon auszugehen, dass dadurch auch die durchschnittliche Lebenserwartung wieder abnehmen wird (Arm stirbt früher als Reich).

Diese Veränderung hat aber auch unmittelbar Auswirkung auf den Rückgang von Ressourcen­verbrauch und Umweltbelastung, d.h. im Sinne der Natur greift hier ein Regelwerk zugunsten der Umwelt.

Falls hierzu auch noch der ökologische oder sogar der Klimakollaps hinzukommt, so bereinigt sich die Natur selbständig und in sehr kurzer Zeit wird ein sehr drastischer Rückgang der Population Mensch zu verzeichnen sein. Bei einem Klimakollaps wird ein solches oder ähnliches Szenario einstellen, ob wir wollen oder nicht!

Wie sieht nun eine „Welt in Balance“ aus?

Eine der wichtigsten Fragen ist die Verteilung des Wohlstandes, insbesondere auch die des Einkommens. Wir hatten in den letzten 20 Jahren einen erheblichen Zuwachs an Vermögen, wobei dieser Zuwachs nicht gleichverteilt sondern Zuwächse überproportional bei den schon bestehenden Vermögen zu verzeichnen waren. Eine Umverteilung zur Gleichverteilung wird sicherlich nicht die Lösung sein. Es zeichnen sich Lösungsansätze zu einer produktiven und effizienten Ungleich­heits­ver­teilung ab, die  das soziale Gefüge sowie die Grundfeste der Demokratie stabilisieren und Motivations- und  Innovationsschub fördern.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob eine solche Lösung überhaupt vorstellbar und realisierbar ist? Bei einem Blick in die Vergangenheit ist erkennbar, dass die Menschheit schon öfters vor solchen Herausforderungen stand, die sie dann häufig (aber nicht immer) durch Innovation gemeistert hat.

Innovation ist und bleibt der zentrale Schlüssel für mehr Wohlstand und für die Überlebensfähigkeit der Menschheit.

Hier sind es insbesondere die Ingenieure und Naturwissenschaftler, die die Innovation treiben. Als Beispiel ist die IT zu nennen, die jeweils in 20 Jahren an Leistungsfähigkeit um den Faktor 1.000 zugenommen hat. Für die letzten 60 Jahre der IT-Entwicklung bedeutet das einen Leistungszuwachs von 1.Mill.

Die sich abzeichnende Entwicklung „Internet der Dinge“ zeigt bei einer konsequenten Betrachtungsweise, dass der Mensch in Zukunft durch Automatisierung und Roboter abgelöst wird. Die Schaffung und Beherrschung dieser Technik liegt oftmals in der Hand der Ingenieure, die somit in der Prägung unserer Welt eine herausragende, sogar dominante Rolle haben, wie es Jacques Neirynck in seinem Buch „Der göttliche Ingenieur“ beschreibt. Im ersten Teil stellt er die Lösungskompetenz dar, mit dem die Ingenieure – und auch Naturwissenschaftlern – immer wieder neue Problemstellungen lösen; muss dann aber im zweiten Teil (ironisch!) feststellen, das immer wieder neue Probleme auftauchen. Neirynck nennt diesen Effekt Rebound- oder auch Bumerang-Effekt, wo Probleme von den Ingenieuren gelöst werden, diese Lösungen aber oftmals nicht immer sofort erkennbare weitere, oft schwerwiegendere Probleme aufwerfen. Sicherlich sind die Wertschöpfung sowie die Effizienzresultate dieser Lösungen oftmals besser als vorher; nur die Anzahl der Probleme nehmen gegenüber den Lösungen überproportional zu, so dass in der Summe immer mehr Energie und Ressourcen verbraucht werden und es feststellbar ist, dass die Probleme eher zu- als abnehmen.

Eine Herausforderung ist eigentlich, diesen Rebound-Effekt zu vermeiden. Das ist verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen, indem auch alle externen Kosten jedweder Art weltweit in den Preisen enthalten sein müssen. Bei globalen Prozessen ist dieses Unterfangen in einzelnen Staaten oder Staatenbünden nicht umsetzbar, weil das weltumfassende Business zwecks Gewinnoptimierung oftmals ausweicht und sich der moralischen Verpflichtung der externen Kostenübernahme schnellstmöglich entzieht.  Dieses gilt auch für die Entrichtung von Steuer, wo durch geschickte Firmenkonstrukte, oftmals sogar legal, Firmen geringste bis überhaupt keine Steuern bezahlen. Warum ist es möglich? Es liegt einerseits an den Modellen der Betriebswirtschaft, die von einem unbegrenzten Wachstum und unbegrenzt verfügbaren Ressourcen ausgehen und die externen Kosten zum Großteil unberücksichtigt lassen. Zum anderen fehlt eine weltweite und durchgreifende politische, soziale, ökonomische und ökologische Regulierung, eine sogenannte Global-Governance. Diese sorgt sorgt dafür, dass die externen Kosten in die Preise internalisiert werden. Als weiterer Effekt wird eine flächendeckende Steuer­gerechtigkeit erreicht. Im Prinzip bedeute diese Global-Governance aber auch eine Umverteile, wobei (erheblich) mehr von Reich zu Arm verteilt wird, was die heutigen reichen und dominanten Staaten aus machtpolitischer und wirtschaftlicher Vorteilsnahme eher nicht wollen und mit allen Mittel verhindern werden.

Zurückkommend auf die Ausgangsfrage, wie einen Lösung für den Planeten aussehen kann: Wir brauchen grünes und inklusives Wachstum sowie eine Global-Governance.

Damit wäre der politische und soziale Teil, der der schwierigste ist, geleistet. Unter diesen Voraussetzungen werden die Ingenieure und Naturwissenschaftler auf die Innovationen im Sinne einer Nachhaltigkeit und Wohlstandsmehrung fokussiert. Sie könnten unter vereinten Kräften Lösungen erarbeiten und soweit wie möglich auch Rebound-Effekte vermeiden.

Aus heutiger Sicht steht oder fällt dieser Lösungsweg mit der Global-Governance, die aber bei den jetzigen weltweiten Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren eher nicht realisierbar erscheint.

Chance bestehen dann, wenn eine Krise in der richtigen Dimensionierung und in der richtigen Reihenfolge kommt. Wenn Sie zu groß ist, dann scheitern wir an der Krise selbst und ergeben uns unserem Schicksal. Wenn die Krise zu klein ist, dann passiert immer noch nichts!

Gehen Sie aber davon aus, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Krise kommen wird.

Hoffen wir, dass es die passende Krise ist!

Was können wir aus den bisherigen Ausführungen nun schlussfolgern?

Wir haben aus der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie aus den sich abzeichnenden Umwelt­problemen sicherlich etwas gelernt. Aber bei weitem nicht genug, denn wir haben trotz der bedrohlichen Erkenntnis und Einsicht unser Verhalten bisher nicht verändert! Die neoliberalen Kräfte sind weiterhin freigesetzt und werkeln intensiv an Freihandelsabkommen, wo erhebliche Regulierungen ausgehebelt werden sollen.

Externe Kosten gehen weiterhin zu Lasten der Umwelt und der gesamten Bevölkerung, weil die Lobby der Unternehmen und Banken sehr gute Arbeit leisten. Banken zocken wieder in gleichen oder sogar größeren Dimensionen, wie vor der Krise. Das Kapital wächst, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiterhin.

Hoffen wir, dass eine frühzeitige und passende Krise kommt und der gesunde Menschenverstand sich durchsetzt, um den Weg zu einem grünen und inklusiven Wachstum und eine Global-Governance zu ermöglichen. Hoffen wir auch, dass diese Veränderung halbwegs gewaltfrei abläuft und wir nicht in der Anarchie oder sogar in einem Kollaps der Menschheit landen.

Herr Prof. Radermacher beendete seinen Vortrag und es gab anschließend noch eine rege Diskussion.

Zusammenfassung des Vortrags: Dr. Bernhard Albert, Dipl.-Inform. Karlheinz Thies